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Ausgepackt
Bonusszene

Christie

20 Jahre später

​

Ich bahnte mir meinen Weg über den Bright Angel Trail und stieg mit jedem Schritt tiefer in den Grand Canyon hinab.
Aber ich konnte mich nicht auf meine eigenen Schritte konzentrieren. Ich musste mir auch noch um andere Sorgen machen.
»Maisie!«, zischte ich. »Thomas! Ich habe gesagt, ihr sollt vorsichtig sein!«
Maisie und Thomas hatten eine Abkürzung über die Serpentinen genommen und waren direkt auf den nächsten Felsabsatz hinuntergeklettert. Es war kein besonders gefährlicher Abschnitt dieses Weges, und wenn einer von ihnen abgerutscht wäre, wären sie nur etwa eineinhalb Meter tief gefallen. Aber der Grand Canyon war nicht der Ort, an dem man unachtsam werden sollte, auch nicht bei den leichten Abschnitten.
Der elfjährige Thomas drehte sich um und sah zu mir hoch. »Ich war vorsichtig!«, meckerte er.
Riley, der vor mir stehen geblieben war, schüttelte den Kopf. »Hört auf eure Mutter. Sie weiß es am besten.«
»Warum weiß sie es am besten?«, fragte unsere sechzehnjährige Maisie. Ihre Stimme triefte vor jugendlichem Trotz. »Du bist doch der Park Ranger, Dad.«
»Ja, also, ich weiß es auch am besten«, antwortete Riley. »Und ich stimme ihr zu. Ihr solltet nicht vom Weg abweichen, auch wenn es nicht gefährlich ist.«
»Aber Dad–«
»Wenn ihr das noch mal macht, werden wir umdrehen«, sagte er mit seiner besten Vater-Stimme. »Ich wette, wenn wir schon so nah am Fluss sind, wollt ihr nicht wieder bis ganz nach oben klettern.«
»Wir sind nah dran?« Plötzlich hob sich Thomas‘ Stimmung. »Wie nah? Ich kann den Fluss noch nicht hören.« Er blickte angestrengt nach vorn, als könnte er ihn entdecken, wenn er sich nur genug Mühe gab.
»Wir kommen gleich an einen wirklich spannenden Teil des Canyons«, sagte Harper, der die Gruppe anführte. Seine roten Haare waren in den letzten Jahren dünner geworden, aber die Sommersprossen auf seinen Wangen tanzten immer noch, wenn er sich freute. »Das hier nennen wir die Prärie, und hier gibt es viele verschiedene Tiere. Wenn ihr aufpasst, könntet ihr eine Klapperschlange sehen.«
»Klapperschlangen!«, sagte Thomas. »Wo? ist das eine?«
»Nein, das ist nur ein Stock. Such nach kleinen Löchern entlang des Weges …«
Maisie und Harper folgten Harper dicht auf den Fersen, als wir in den flacheren Abschnitt des Canyons traten. Ich blieb stehen und warf einen Blick zurück, wo Logan das Schlusslicht bildete. Er ließ sich seinen Bart bereits für den Winter wachsen und ging langsamer als wir anderen. Nicht, weil sein Rucksack der schwerste war, sondern weil er die wertvollste Fracht trug.
Über seine Schulter linste Baby Logan Junior. Er saß in einem besonderen Tragerucksack, der weich gepolstert war und sogar einen kleinen Schirm hatte, um die Sonne von seinem sensiblem Köpfchen fernzuhalten.
Jedes Mal, wenn ich die beiden ansah, pochte mein Herz. Es gab nichts Anziehenderes auf der Welt als einen Mann, der ein Baby trug.
»Wie geht es meinem besonderen kleinen Mann?«, fragte ich.
»Mir geht’s super«, sagte Logan. »Danke, dass du fragst!«
Ich verdrehte die Augen. »Ich habe den Kleinen hier gemeint.« Ich kitzelte seinen molligen kleinen Arm und er lachte glücklich.
»Er ist so zufrieden wie ein Welpe. Quasselt viel, während er hier alles bestaunt.«
»Ich wäre auch so zufrieden, wenn ich getragen werden würde«, sagte ich.
Logan grunzte. »Wäre nicht das erste Mal, dass ich den Arsch einer erwachsenen Frau aus dem Canyon hole.«
Vor uns hielt Thomas mitten im Schritt inne. »Dad hat ein böses Wort gesagt!«
»Halt den Mund, Pupsgesicht«, sagte Maisie. »Er hat doch nur Arsch gesagt.«
Thomas schnappte nach Luft und zeigte auf seine Schwester. »Sie hat auch ein böses Wort gesagt!«
»Halt den Mund.«
»Du hältst den Mund!«
Ich warf Logan einen Blick zu. »Sieh nur, was du angerichtet hast.«
»Ich dachte nicht, dass die mich da vorne hören würden.«
»Schallecho«, sagte Harper. »An manchen Stellen im Canyon ist die Akustik wirklich beeindruckend. Es gibt einen Ort in der Nähe des Randes, wo man nur flüstern muss und man kann es den ganzen Weg bis nach …«
»Woher sollte ich wissen, dass es hier Echos gibt?«, murmelte Logan.
»Ja, es ist ja nicht so, als würdest du schon ein Vierteljahrhundert im Canyon arbeiten!«, sagte ich.
Riley brach in Gelächter aus.
Trotz des Geplänkels und der Streitereien zwischen meinen beiden erstgeborenen Kindern waren wir glücklich. Unglaublich, überwältigend glücklich. Glücklicher als alle anderen, die ich kannte. Wenn ich zwanzig Jahre in der Zeit zurückreisen und meinem jüngeren Ich sagen könnte, wie sich die Dinge entwickeln würden, würde ich mir wahrscheinlich selbst nicht glauben. Wie konnte eine Beziehung wie diese halten, wenn drei Männer sich eine Frau teilten?
Aber irgendwie war das perfekt für uns. Über die Jahre mochten wir unsere Höhen und Tiefen gehabt haben, aber unsere Liebe war immer stark geblieben. Riley, Harper, Logan und ich waren Seelenverwandte. Wir waren füreinander bestimmt.
Wir wanderten durch den flachen Abschnitt des Canyons, durch die Prärie, bevor wir das Innere erreichten. Sobald wir das Tosen des Colorado Rivers hörten, fing Thomas an, aufgeregt zu rufen und zeigte nach vorn. Als wir ihn erreichten und uns zu ihm gesellten, waren wir alle sprachlos. Besonders Thomas und Maisie.
»Ich erinnere mich noch an das erste Mal, als ich bis zum Fluss gewandert bin«, sagte ich. »Da hat es mir auch die Sprache verschlagen.«
Thomas blinzelte. »Der Canyon war schon da, als du noch jung warst?«
»Der Grand Canyon ist Milliarden von Jahren alt«, sagte ich trocken.
Thomas starrte mich weiter an.
»So alt bin ich nun auch wieder nicht!«, beharrte ich.
Harper gluckste. Riley hielt sich die Hand über den Mund.
»Du bist schon ganz schön alt«, sagte Thomas.
Jetzt lachten Harper und Riley noch lauter.
»Wisst ihr, was?«, fragte ich. »Ich glaube, es ist nicht genug Platz für uns alle in den Hütten. Du wirst wohl draußen schlafen müssen.«
Das brachte Thomas zum Schweigen.
Wir schlängelten uns unseren Weg bis zum Fluss hinunter und überquerten die Silver Bridge. Nach einer kurzen Pause, um Fotos zu machen, setzten wir die Wanderung fort, bis wir die Phantom Ranch erreichten. Doch anstatt die Hütten aufzusuchen, gingen wir direkt in die Kantine, um etwas zu essen.
»Wir sind die Ersten hier«, sagte Logan, als wir eintraten. »Cool.«
»Und das trotz der wertvollen Fracht«, sagte Harper. »Wirst du ihr das vorhalten, wenn sie hier ankommt?«
Logan grunzte. Natürlich würde er das tun.
Der Duft von gegrilltem Fleisch und Gewürzen erfüllte die Luft. Ich spürte, wie mir sofort das Wasser im Mund zusammenlief. Alles, was ich gegessen hatte, seit wir an diesem Morgen aufgebrochen waren, war Studentenfutter. Ich brauchte etwas Richtiges zu essen.
Die Tür zur Küche öffnete sich und Bubba trat hindurch. Aber nicht der Bubba, der schon seit Jahrzehnten in der Kantine arbeitete. Sein Sohn, Bubba Junior, der BJ genannt wurde. Er war ein typischer Teenager, groß und schlaksig und musste noch in seinen Körper hineinwachsen. Er trug ein Tablett vor sich, dass er vor uns auf dem Tisch abstellte.
»Hey, ihr alle. Dad sagt, das Essen ist bald fertig, aber bis dahin haben wir einen Appetizer für euch.«
»Sliders!«, sagte Riley. »Davon könnte ich gleich zehn Stück essen.«
»Hey, BJ«, sagte Maisie schüchtern.
»Oh. Äh. Hi, Maze.«
»Arbeitest du in den Ferien bei deinem Dad?«
BJ kratzte sich nervös am Hals. »Äh. Ja, das mache ich. Nur bis die Schule wieder losgeht. Wie war die Wanderung?«
Logan trat neben Maisie, als wäre er ihr Bodyguard. »Die Wanderung war super, BJ.« Er zeigte hinter ihn. »Ich glaube, dein Dad braucht deine Hilfe mit dem Essen.«
»Oh. Äh. Ja, Sir, vermutlich braucht er mich.«
»Dann solltest du besser gehen«, sagte Logan mit tiefer Stimme.
BJ lächelte Maisie noch einmal kurz zu, dann eilte er zurück in die Küche.
»Dad«, sagte Maisie. »Warum musst du das immer machen?«
»Was mache ich denn?«, fragte Logan unschuldig.
Maisie stieß einen genervten Laut aus und setzte sich an den Tisch.
»Was? Ich mache doch nur etwas Spaß.« Logan sah mich an. »Ich kann es ihm nicht zu leichtmachen. Nicht, wenn er vorhat, mit meiner Tochter zu flirten.«
Aus biologischer Sicht war Maisie Harpers Tochter. Aber Blut war nicht so wichtig wie die Gemeinschaft der Familie. Alle Kinder gehörten jedem der Jungs, und sie alle wurden von Maisie und Thomas Dad genannt. Und das würde Logan Junior auch tun, wenn er erst mal alt genug zum Sprechen war.
Die Tür der Kantine wurde aufgestoßen und Sandy eilte hinein, vollkommen außer Atem. »Nein! Ich war mir sicher, dass ich euch dieses Mal schlagen würde!«
Hinter ihr trat Sandys Ehemann ein, mit rotem Gesicht und sichtlich erschöpft. »Oh Mann. So ein Ärger.«
Logan ging mit einem breiten Grinsen zu ihnen herüber. »Wir haben nicht nur gewonnen, wir haben es sogar mit den Kindern im Schlepptau geschafft. Und einem auf meinem Rücken.« Er deutete über seine Schulter. »Vielleicht beim nächsten Mal, Kindchen.«
Er hielt Sandy seine Faust entgegen, gegen die sie widerwillig mit ihrer eigenen stieß. »Jaja«, murrte sie, doch dann umarmte sie Logan.
»Schön, dich zu sehen, Logan.« Sandys Mann hielt ihm ebenfalls seine Faust hin, aber Logan starrte ihn nur an, ohne darauf einzugehen. Nach ein paar Sekunden eilte er an ihm vorbei, um sich zu Sandy an den Tisch zu setzen.
»Was?«, fragte Logan, als ich ihm einen bösen Blick zuwarf. »Sie ist wie eine Schwester für mich. Ich muss auf sie aufpassen.«
»Sie sind seit acht Jahren verheiratet«, bemerkte ich. »Sandy ist mittlerweile über dreißig.«
»Ein Grund mehr, auf sie aufzupassen«, beharrte er.
Riley erschien neben mir und reichte mir ein kaltes Glas Bier. »Erinnerst du dich noch an das erste Mal, als wir vier hier waren? Vor zwanzig Jahren?«
»Das tue ich«, sagte ich. »Bubba hat uns Steak mit Kartoffeln serviert. So etwas Köstliches habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gegessen.«
Riley grinste mich an. »Eigentlich meinte ich etwas anderes, das vor zwanzig Jahren passiert ist. Nicht in der Kantine. In der Hütte.«
Ich spürte, wie mir bei der Erinnerung die Röte in die Wangen schoss. »Irgendetwas war da, ja«, sagte ich und nippte lässig an meinem Bier.
Plötzlich fragte Thomas: »Was habt ihr in der Hütte gemacht, Mom?«
Ich wirbelte herum. Er stand direkt hinter mir und neigte neugierig seinen Kopf. »Nichts«, sagte ich zu ihm.
»Aber bei Dad klang es so, als wäre es etwas Wichtiges gewesen«, bohrte er nach. »Was habt ihr in der Hütte gemacht? Sag es mir!«
»Ich, äh …« Hilfesuchend sah ich zu meinen drei Männern. Riley trank von seinem Bier und wich langsam zurück. Dann fing Logan an zu lachen.
Diesen Moment wählte Bubba, um zu meiner Rettung zu eilen. Er trat schwungvoll aus der Küche und verkündete: »Hergehört, ihr hungrigen Reisenden! Das Festmahl ist vorbereitet!«
Wir jubelten, als Bubba und BJ die Teller mit dem Essen aus der Küche trugen. Auf jedem davon stand ein doppelter Cheeseburger und genug Pommes, um ein Schlachtschiff zu versenken.
»Ich hoffe, ihr genießt es«, sagte Bubba zu uns. »Es ist nicht leicht, Frittierfett hier runterzutragen, das kann ich euch sagen!«
Thomas betrachtete seinen Teller. »Burger? Mom sagt, als sie das erste Mal hier war, hast du Steak und Kartoffeln gemacht.«
»Das ist nicht nur irgendein Cheeseburger«, sagte Bubba. Er legte seine Hände über seinen runden Bauch, während BJ stolz neben ihm stand. »Das sind Gourmet-Burger, die mit gereiftem Asiago-Käse, frisch gemahlenem Senf und lokalem Applewood Speck zubereitet wurden. Und das alles befindet sich in einem tschechischen Kolatsche-Brötchen.«
Thomas hob das Brötchen an und begutachtete alles genau. »Die von McDonald’s mag ich lieber.«
»McDonald’s?«, sprudelte es aus Bubba heraus. »Junge, du stehst kurz davor, deine Essensprivilegien hier zu verlieren! Wenn du nicht jeden Krümel von diesem Burger isst, werde ich dich das Frittieröl wieder aus dem Canyon heraustragen lassen!«
»Entschuldige dich, Thomas«, sagte ich, während ich versuchte, nicht zu lachen.
»Tut mir leid«, sagte er mürrisch und probierte die Pommes.
»Dachte ich mir doch.« Bubba setzte sich mir gegenüber und trank einen großen Schluck von seinem Bier. »Christie, du siehst noch besser aus als ein Pfirsich aus Georgia.«
»Ich bin voller Schweiß und Dreck«, sagte ich. »Du bist wirklich zu freundlich.«
»Versuchst du, sie uns zu stehlen?«, witzelte Logan und löffelte Babybrei in den Mund von Logan Junior.
»Wenn ich eine wunderschöne Frau sehe, muss ich einfach meinen Charme spielen lassen.« Bubba grinste mich an. »Wo wir gerade von Charme sprechen, oder eher dessen Mangel. Ich habe neulich eine Hochzeitsannonce gesehen. Von einem gewissen Kerl namens Pierce.«
Ich nickte. »Das ist richtig. Mein Ex hat kürzlich geheiratet.«
»Das ging schnell. Ist er nicht gerade erst aus dem Gefängnis gekommen?«, fragte Bubba.
»Das ist eigentlich schon fünf Jahre her«, sagte ich.
»Sechs, glaube ich«, sagte Harper.
Ich zuckte mit den Schultern. »So oder so, er ist nicht mehr im Gefängnis und macht mit seinem Leben weiter.«
»Wenn es nach mir ginge, würde er gar nichts mehr machen«, sagte Logan leise. »Nicht wahr, Junior? Ich hätte ihn in der Wüste zurückgelassen, damit die Vögel ihn sich holen. Ja, das hätte ich!«
»Vögel?«, warf Thomas ein.
Ich stieß Logan mit dem Ellbogen an und sagte: »Mach dir darum keine Sorgen, Schatz. Iss deinen Burger.«
»Ich hätte gerne einen Vogel«, sagte Maisie zu BJ, der ihr gegenüber saß. »Ich habe gehört, dass Papageien richtig schlau sein sollen.«
»Wow, ein Papagei. Das wäre so cool«, antwortete BJ.
Logan räusperte sich und warf BJ einen strengen Blick zu. Hastig beugte sich der Junge über seinen Burger.
Bubba schüttelte langsam seinen Kopf. »Hat er sich je bei dir entschuldigt? Pierce, meine ich. Für das, was er getan hat?«
Ich schnaubte. »Nö. Kein Sterbenswörtchen. Das letzte Mal, als ich von ihm gehört habe, war, oh, vor zwanzig Jahren. Während seines Prozesses wegen Veruntreuung.«
»Was für ein Versager«, sagte Bubba. »Ich wette, das ärgert dich. Nie eine Entschuldigung bekommen zu haben.«
»Weißt du, was?«, sagte ich. »Ich denke überhaupt nicht mehr an Pierce. Bei seinem Namen regt sich bei mir gar nichts. Nicht, solange ich meine Familie bei mir habe.«
Bubba schlug mit seiner Faust auf den Tisch. »Mädchen, darauf trinke ich einen!«
Wir lachten und prosteten uns zu, bevor wir uns auf unsere Teller stürzten.

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