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Nanny mit
Gewissen Vorzügen

Bonusszene

Veronica

14 Jahre später

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Wir fuhren auf dem Highway nach Norden. Der blaue Märzhimmel mit seinen weißen Wölkchen hätte mich eigentlich in beste Stimmung versetzen sollen. 


Nur hörten die Kinder einfach nicht auf, sich zu streiten.


»Ich fass dich nicht mal an«, behauptete Brendan.


»Doch, tust du!«, konterte Oliver. »Du hast mich grade am Arm berührt!«


»Das war ein Versehen.« 


Ich wirbelte auf dem Beifahrersitz herum und warf den beiden Jungs einen vernichtenden Blick zu. »Brendan, hör auf, deinen Bruder anzufassen.«


»Ich bin nicht ...«


»Ha-ha!«, stichelte Oliver.


»Und du«, fauchte ich. »Du hast ihn dazu angestachelt, indem du’s in der ersten Stunde der Fahrt bei ihm gemacht hast. Wenn ihr euch nicht sofort benehmt, hab ihr für den Rest des Tags Hausarrest.«


Oliver schnappte nach Luft. »Das ist nicht fair!«


»Wenn du weiter widersprichst, zeige ich dir, was fair ist. Willst du zwei Tage Hausarrest?« 


»Du hast gesagt, ich darf Kajak fahren!«, erwiderte Oliver.


Mein Blick verfinsterte sich zusätzlich.


Schließlich stieß er das tiefe, genervte Seufzen eines typischen Teenagers aus. »Na schön.« 


Brendan wollte seinem Bruder die Zunge herausstrecken, aber ich richtete auch auf ihn einen warnenden Finger. Schließlich verschränkten beide schmollend die Arme vor der Brust und schauten aus ihren jeweiligen Fenstern.


Ich drehte mich zurück nach vorn und atmete aus. Hinter dem Lenkrad lächelte Bryce. 


»Und was findest du so komisch?«, fragte ich streng, wenngleich verspielter als gegenüber den Jungs. 


Er zuckte mit den Schultern. »Ich hab nichts gesagt.« 


Mit den Jungs hatte man alle Hände voll zu tun. Obwohl wir unsere Familie aufgeteilt hatten – Liam, Pax und unsere beiden anderen Söhne saßen in einem anderen Wagen –, gestalteten sich lange Autofahrten immer als Kampf. Ganz gleich, wie viele Spiele und Bücher wir für sie besorgten, nach einer Stunde wurden sie unruhig. Sie hatten die Aufmerksamkeitsspanne von Fruchtfliegen.


Und sie ähnelten ihren Vätern. 


Oliver war fünfzehn und benahm sich dementsprechend. Ständig launisch und grundsätzlich immer gegenteiliger Meinung. Wenn ich sagte, der Himmel wäre blau, würde er schon aus Prinzip behaupten, er wäre grün.


Dennoch liebte ich ihn über alles.


Brendan war sein Bruder – biologisch gesehen Halbbruder, da seine Eltern Bryce und ich waren. Aber für uns spielte der Unterschied keine Rolle. Zwölf Jahre alt, und er dackelte seinem Bruder wie ein Welpe hinterher. Dazu gehörte allerdings auch, Oliver zu hänseln und mit ihm spielen zu wollen, selbst wenn er seine Ruhe wollte.


Meine beiden anderen Söhne, Andrew und Will, waren noch im ruhigeren, unschuldigeren Alter. Neun und acht. Sie waren die Söhne von Pax beziehungsweise Liam. Andrew war ein Genie in Mathe und zählte gern alles Mögliche, Will hingegen begeisterte sich für Sport. Er war in Philadelphia der schnellste Junge in seinem Schwimmteam, das sein Vater trainierte. Liam glaubte, dass er in ein, zwei Jahren einige staatliche Rekorde brechen könnte.


»Mir ist nur durch den Kopf gegangen, dass Andrew und Will wahrscheinlich still und leise im Auto sitzen«, sagte Bryce. »Lesen Bücher oder hören Musik.«


Ich warf ihm einen gespielt finsteren Blick zu. Sie sind deine Söhne. Unter den Erwachsenen kursierte der Scherz, dass Bryce als Kind und Jugendlicher eine Plage für seine Eltern war und ihn sein Karma nun einholte.


Aber das war nur Spaß. Trotz aller Pubertätsärgernisse waren wir glücklicher, als wir es je für möglich gehalten hätten.


Die drei Eheringe an meinem Finger bewiesen es.


Wir hatten Philadelphia früh verlassen und trafen bereits um zehn Uhr morgens beim Haus am See an. Wir stiegen aus, und ich öffnete den Kofferraum, um mit dem Auspacken zu beginnen. Mürrisch kam Oliver auf mich zu. Als Baby mochte er pummelig gewesen sein, mittlerweile jedoch überragte er mich und war gertenschlank. Er umarmte mich.


»Tut mir leid, Ma«, sagte er. 


So nannte er mich, seit er drei Jahre alt war, trotzdem wärmte es mir immer noch jedes Mal aufs Neue das Herz. Bryce lächelte bei sich, als er die Kühlbox aus dem Kofferraum holte.


»Ist schon gut«, sagte ich zu Oliver. »Hilf uns, alles reinzutragen, danach bereiten wir uns vor.«


Der See und unser Haus sahen noch genauso aus wie damals bei meiner ursprünglichen Ankunft vor vierzehn Jahren. Der einzige Unterschied bestand darin, dass man die Gegend weiter erschlossen hatte. Mittlerweile sprenkelten deutlich mehr Häuser die andere Seite des Ufers. Auch unmittelbar neben uns stand ein neues Haus, das uns jedoch nicht störte.


Die Eingangstür nebenan öffnete sich, und mein Vater kam die Treppe heruntergelaufen. »Sie sind da! Alle sind da!«, rief er zurück, während er die Einfahrt überquerte und mich umarmte.


Hinter ihm folgte der Rest meiner Familie. Meine Brüder und Schwestern waren inzwischen alle erwachsen und hatten zusammen insgesamt sechs Nichten und Neffen. Wir waren mittlerweile eine große Familie! Und Dad war der stolzeste Großvater der Welt.


»Ich schwöre, du wirst jedes Mal größer, wenn ich dich sehe, Ollie!«, rief er und warf die Arme um den Jungen.


»Opa, es heißt, Oliver«, beharrte er. 


Mein Vater setzte eine ernste Miene auf. »Entschuldige, stimmt. Oliver. Hab vergessen, dass du jetzt so genannt werden willst.« Er streckte die Hand aus und berührte das Gesicht des Teenagers. »Ist das Dreck auf deiner Wange? Veronica, baden deine Jungs auch mal?« 


»Das ist ein Bart, Opa«, erklärte Oliver verlegen. »Keine große Sache.« 


»Ein Bart?« Dad kniff die Augen zusammen und musterte ihn. »Da muss ich meine Brille holen, sonst seh ich ihn nicht ...«


Ich gab mir alle Mühe, nicht zu lachen. Oliver stöhnte und wandte sich ab. 


Mein Vater zerzauste ihm die Haare. »Die Kajaks unten am Wasser sind alle startklar. Kommst du auch mit?«


Dad sah mich an und übermittelte mir eine unausgesprochene Frage: Hat Oliver auf der Fahrt hierher wieder mal Hausarrest aufgebrummt bekommen? 


»Wir gehen alle Kajak fahren«, antwortete ich für ihn. »Sobald wir alles aus den Autos geladen haben.« 


Liam, Pax und die beiden anderen Jungs trafen wenige Minuten später ein. Bryce zog Pax damit auf, dass er wie ein Teenager bei der Führerscheinprüfung fuhr. Andrew und Will rissen ihren Großvater beinah von den Beinen, so stürmisch umarmten sie ihn, während sie freudige Rufe ausstießen.


»Ich werde allmählich zu alt«, meinte er zu ihnen. »Irgendwann brecht ihr mir noch die Knie!« 


Wir trugen alles ins Haus und warfen uns in Badebekleidung. Schließlich fanden sich alle unten am Wasser ein, wählten Kajaks aus und griffen sich Paddel. Es hatte sich längst zu einer Familientradition entwickelt, am ersten Urlaubstag eine gemeinsame Kajakfahrt zu unternehmen. Meine Schwester hatte sich ihr Neugeborenes so an die Brust geschnallt, wie ich früher Oliver getragen hatte. Wir waren insgesamt zwanzig Personen in neunzehn Kajaks. Deshalb glichen wir einer kleinen Armada, als wir vom Ufer ablegten. 


»Wettrennen!«, verkündete Will der Allgemeinheit.


Rasch fing ich zu paddeln an. »Geht klar!« 


Wir beide legten uns ins Zeug, paddelten um die Wette in die Mitte des Sees hinaus. Natürlich schonte ich Will, damit er eine Chance hatte. Alle paar Sekunden spähte er herüber, um zu sehen, ob er in Führung lag.


Plötzlich kam von hinten Liam angerast. Seine muskulösen Arme hantierten mühelos mit dem Paddel. »Zu langsam«, höhnte er, als er uns spielend überholte.


»Dad!«, klagte Will. »Das ist unfair!« 


Ich streckte mein Paddel aus und erwischte damit das von Liam. Es glitt ihm aus den Fingern, platschte in den See und ließ Wasser aufspritzen. Zwar trieb es an der Oberfläche, aber Liams Schwung beförderte ihn davon weg.


»Wofür war das denn?«, fragte Liam.


»Wollte dich nur in die Schranken weisen!«, gab ich zurück, als ich wieder an ihm vorbeizog.


»Schummlerin!« 


Kichernd wechselte ich ein Grinsen mit Will, dann setzten wir unser Rennen fort.


Nach dem Kajakfahren kehrten wir zum Haus zurück, um das Mittagessen vorzubereiten. Als weitere Tradition hatte sich eine riesige Ladung Hühnersalat-Sandwiches für alle eingebürgert.


Andrew rückte die Brille zurecht, während er den Blick über die Arbeitsplatte in der Küche wandern ließ. »Warum gibt’s eigentlich immer das?«


»Vor langer Zeit ist Papa Bryce mal von einem Hühnersalat-Sandwich krank geworden. Das hat uns einen Mordsschrecken eingejagt.«


»Finde ich albern«, platzte Andrew heraus.


»Es hat ironisch angefangen«, warf Pax ein. »Im Jahr danach haben wir eigenen Hühnersalat gemacht und ihn damit aufgezogen. Aber er hat sich als köstlich erwiesen, also ...« Er zuckte mit den Schultern, als wäre das Erklärung genug.


Andrew verdrehte über seinen Vater die Augen. 


Nach dem Essen schlenderte mein Vater herüber in unser Haus. »Kommt schon, kommt schon! Zeit zum Wandern!« 


»Müssen wir wirklich?«, fragte Oliver, während er an seinem Handy fingerte.


»Natürlich müsst ihr. Ich will alle meine Lieblingsenkel dabeihaben. Wenn du zu Hause bleibst, fällst du aus der Lieblingsriege raus ...«


Das überzeugte Oliver. Alle zogen sich um und folgten Dad aus dem Haus hinunter zu den Pfaden um den See.


Wegen der Kinder hatten meine drei Ehemänner und ich nicht allzu viel Zeit für uns allein. Wir mussten die Gunst der Stunde nutzen, wann immer wir konnten. Pax stand im Wohnzimmer und spähte mit einem Fernglas durch die Fenster hinaus.


»Okay, sie sind weg. Wir haben mindestens eine Stunde.«


Zu viert rasten wir ins große Schlafzimmer und entledigten uns unterwegs der Kleidung. Ich ließ mich aufs Bett plumpsen, und meine Männer übernahmen die Führung, küssten mich abwechselnd und bedeckten mich mit ihren Körpern. Gruppensex bereitete unter Zeitdruck nicht ganz so viel Spaß, dennoch fand ich ihn genauso erregend und befriedigend wie bei unserem ersten Mal.


»Das ist und bleibt unglaublich schön«, meinte Bryce, während wir danach kuschelten.


»Im Gegensatz zu deinem faltigen Hintern«, gab Pax zurück.


»Faltig?« Bryce verrenkte sich auf der Matratze, um einen Blick auf seinen Allerwertesten zu werfen. »Ich seh keine Falten. Alles glatt.«


»Nicht aus diesem Blickwinkel.« 


Ich lachte, während sie sich gegenseitig aufzogen. Bisher hielten sie sich hervorragend für Männer, die mittlerweile Anfang vierzig waren. Bryce hatte so dichtes Haar wie eh und je, nur mit einigen grauen Schlieren darin. Liam war noch genauso fit wie bei unserer ersten Begegnung, schlank und muskulös. Pax hatte um die Mitte ein bisschen zugelegt, wodurch ich ihn allerdings nur noch liebenswerter fand. 


Die letzten vierzehn Jahre waren wie im Flug vergangen. Ich fragte mich, wie schnell die nächsten vierzehn verstreichen würden. Dann würde ich fünfzig sein. Oliver fast dreißig.


Die Gedanken empfand ich als zu schwer, also richtete ich das Augenmerk stattdessen auf die nackten Männer, mit denen ich gerade kuschelte.


Später an dem Abend gingen wir zum Essen zum Haus meines Vaters hinüber. Mit zwanzig Personen wurde es recht beengt, doch das störte uns nicht. Tatsächlich gefiel es uns so. Eine große glückliche Familie. Oliver hatte sein Skizzenbuch dabei und setzte sich auf die hintere Terrasse. Er malte nicht ganz so gern wie sein Vater, besaß aber echtes Talent mit Bleistift und Grafit. Sofort begann er, die Landschaft um den See zu skizzieren, wobei er mit horizontalen Linien für das Ufer anfing. 


»Was zu trinken?«, fragte mich mein Bruder, als wir hineingingen. »Suzie hat einen Schwung ihrer berühmten Margaritas gemacht.« 


»Ja, bitte.« Pax steuerte schnurstracks in die Küche.


Ich hielt das Glas hoch, das ich mitgebracht hatte. »Für mich nur Wasser.«


Damit zog ich einige verdutzte Blicke auf mich. Niemand schlug Suzies Margaritas aus. Langsam verstummten die Gespräche um uns herum.


»Was ist los?«, fragte Brendan misstrauisch.


Alle wurden still. 


Pax schien es als Einzigem nicht aufzufallen. Er war damit beschäftigt, sich in der Küche eine Margarita einzuschenken.


»Veronica?«, fragte Bryce. »Wirklich?« 


Verdammt, ging mir durch den Kopf. So wollte ich es nicht bekanntgeben. Ich hatte Suzies Margaritas vergessen. Ich hätte mir eine Ausrede zurechtlegen sollen.


»Ich wollte es mir als Überraschung für nächste Woche zu unserem Jahrestag aufheben, aber ...« Vielsagend ließ ich die Hand auf meinen Bauch sinken. 


Im Raum brach helle Aufregung aus. Liam jubelte laut und kam angerannt, um mich zu umarmen. Gleich darauf folgten Bryce und danach mein Vater. »Oh Harmonica. Das ist wundervoll!« 


»Hä?«, kam von Pax, während er an seiner Margarita nippte. »Was hab ich verpasst?« 


»Von wem?«, fragte mein Bruder.


Alle warteten auf meine Antwort. Anfangs fand es meine Familie seltsam, dass ich drei feste Freunde gleichzeitig hatte, und noch schräger, als ich alle drei heiratete. Allerdings gewöhnten sich alle schnell daran, vor allem, als wir anfingen, jedes Jahr in den Frühlingsferien und im Sommer an den See zu kommen. Mittlerweile empfanden sie es als völlig normal. Niemand dachte noch daran.
»Ich weiß es nicht«, gestand ich. »Aber etwas weiß ich schon: Diesmal sollte es besser ein Mädchen werden!« 


Pax’ Augen wurden groß, und er starrte auf meinen Bauch. »Ein Mädchen ... oh. OH!« 


Alle lachten, als er vor lauter Hast, zu mir zu stürmen und mich zu umarmen, seine Margarita fallen ließ.


Nach dem Abendessen kehrten wir zu unserem eigenen Haus am See zurück. Die Kinder waren todmüde und gingen ins Bett, während Bryce, Liam, Pax und ich uns mit Getränken auf die hintere Terrasse setzten. Ich nippte an meiner Cola Light und seufzte.


»Wir haben ein Problem«, verkündete ich laut.


Die Köpfe meiner drei Ehemänner drehten sich mir zu. »Welches? Was ist denn los?«


»Ich bin glücklich«, sagte ich. »Zu glücklich.« 


»Und das ... ist warum ein Problem?«, fragte Liam.


»Ich finde bloß, wir sollten das ein bisschen dämpfen«, scherzte ich. »Unser Karma mit ein paar schlechten Aspekten ausgleichen.«


Pax setzte sich aufrechter hin. »Soll ich anfangen, Geld von deinen Pensionskonten zu veruntreuen? Die entwickeln sich so gut, du würdest es wahrscheinlich nicht mal merken.«


»Klingt nach einem guten Anfang.«


»Perfekt. Ich kümmere mich gleich morgen darum.« 


»Zu viel Glück ist schlecht für die künstlerische Kreativität«, sagte Bryce. »Die beste Kunst entsteht in Phasen von Depressionen oder innerer Zerrissenheit.« 


»Wir könnten anfangen, uns zu streiten«, schlug Liam vor. »Veronica, in den Hühnersalat-Sandwiches war zu viel Mayonnaise. Damit ist unsere Ehe Geschichte.« 


Ich schnappte nach Luft. »Lass bloß die Sandwiches aus dem Spiel!« 


Wir lachten, scherzten und hänselten uns gegenseitig, während wir beobachteten, wie die Sonne auf der anderen Seite des Sees unterging. 

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Das Ende

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