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Baby für den Milliardär

Melinda
Zwanzig Jahre später

Ich befand mich an einem wunderschönen Strand am Pazifik, die Sonne ging zu meiner Rechten unter und ließ unbeschreibliche Rot- und Orangetöne über den Himmel Costa Ricas wandern.
Aber ich war so unglücklich wie noch nie in meinem Leben.
»Komm schon, Mel!«, riefen einige Leute in den Bäumen vor uns. »Auf gehts, Mel!«
Ich war den ganzen Tag gelaufen. Na ja, fast den ganzen Tag. Um fünf Uhr morgens waren wir in unseren Bus gestiegen, um zwei Stunden lang durch den Dschungel zu fahren und den heutigen Fünfundvierzig-Kilometer-Lauf zu beginnen. Die ersten zwanzig Kilometer verliefen im Dschungel, bergauf und bergab über endlose Hügel. Die letzten fünf verliefen am Strand. Ich war viel gelaufen. Und hatte sehr viel geflucht.
Der Weg bog nach links in die Bäume ab, wo die Ziellinie und all die anderen warteten. Die Anfeuerungsrufe wurden lauter, als ich mein letztes bisschen Energie aufbrachte, um über die Ziellinie zu joggen. Dort umarmte mich der Rennleiter und legte mir eine Medaille um den Hals.
»Das hast du toll gemacht, Baby«, sagte Pierce und umarmte mich.
»Ich habs geschafft«, sagte ich.
»Ganz genau. Das ist eine echte Errungenschaft bei einem Rennen wie diesem.«
»Die größte Errungenschaft war, dass ich dich nach dem ersten Tag nicht umgebracht habe«, antwortete ich.
»Du hast es geschafft, Mom!«, rief Mary-Louise. Im Gegensatz zu mir war meine Tochter kaum verschwitzt und sah regelrecht frisch aus. Ihr blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, und sie hatte sich frische Kleidung angezogen.
»Du bist vor mir ins Ziel gekommen?«, fragte ich.
»Ja! Ich weiß nicht, wie. Ich dachte, du wärst schon vor Stunden durch.«
Ich hielt einen Fuß hoch. »Schlimme Blase an der Ferse. Bin zu viel gelaufen. Aber genug von mir. Ich bin so stolz auf dich, Schatz!«
Mary-Louise umarmte mich und verzog wegen des vielen Schweißes das Gesicht. Aber sie grinste, und das zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht. Als wir uns angemeldet hatten, war ich mir nicht sicher gewesen, ob ihr diese Art von Läufen gefallen würde. Es zeigte sich, dass sie nach ihrem Vater kam.
»Hier«, sagte Pierce und reichte mir ein Bier. »Trink das. Dann gehts dir besser.«
Ich leerte die Hälfte des Biers in einem Zug. Es war kalt und erfrischend, und ich fühlte mich tatsächlich besser. Bis ich sah, dass Mary-Louise ebenfalls eins festhielt.
»Wann haben wir beschlossen, das zu erlauben?«, fragte ich Pierce.
»Es war spontan. Sie hat gefragt, also habe ich ja gesagt.«
»Ich sags dir nur ungern, Mom«, sagte sie trocken, »aber ich hab schon mal Bier getrunken.«
»Kannst du deine arme Mutter nicht einfach anlügen?«, fragte ich.
Daraufhin nahm sie einen Schluck von ihrem Bier und sagte danach in einem flachen Ton: »Igitt, das ist so ekelhaft. Ich trinke nie wieder Alkohol.«
»Danke.«
Pierce legte seinen Arm um mich und führte mich ins Lager. Es waren noch ein paar Läufer auf der Strecke, aber alle anderen waren bereits in verschiedenen Feierzuständen: Sie tranken, entspannten sich auf dem Boden und lachten über das Rennen. Es herrschte ein Gefühl der Erleichterung; alle, auch ich, waren froh, im Ziel zu sein.
Nachdem ich mein Bier ausgetrunken hatte, ging ich die Routine durch, die mich an jedem Tag des Rennens beschäftigt hatte: duschen, meine Kleidung zum Trocknen auslegen, zwei Flaschen Elektrolyte trinken und dann zum Essenszelt gehen. Heute Abend gab es Steak, ein besonderer Leckerbissen für die letzte Nacht.
Die Sonne ging unter, und alle versammelten sich um ein großes Lagerfeuer am Strand. Mary Louise legte ihren Kopf auf meine Schulter, und Pierce legte seinen Arm um uns beide, während wir ins Feuer starrten.
»Bist du froh, dass du es gewagt hast?«, fragte er mich.
»Nein. Ich hasse dich immer noch ein bisschen«, antwortete ich. »Aber ich bin froh, dass es vorbei ist, und es war ein verdammt großes Abenteuer. Schau mir nur nicht auf die Füße.«
»So schlimm, hm?«
»Sie sehen aus wie ein Kriegsverbrechen. Blasen an allen Zehen und die Haut schält sich vom vielen Wasser.«
Pierce küsste mein Haar. »Ich finde dich immer noch sexy.«
Mary-Louise machte ein Würggeräusch. »Die Eltern meiner Freunde sagen so was nicht zueinander. Könnt ihr zwei nicht einfach normal sein?«
Pierce und ich grinsten uns gegenseitig an. Wir waren immer noch verrückt nacheinander und würden uns nie dafür entschuldigen.
In dieser Nacht schlief ich gut, denn ich wusste, dass ich am nächsten Morgen nicht aufstehen und laufen musste. Ich wachte auf und ging in aller Ruhe meiner morgendlichen Routine nach, während alle ihre Zelte abbrachen und ihre Ausrüstung einpackten. Dann stiegen wir in die Busse, um die sechsstündige Fahrt zurück nach San José anzutreten.
Wir hätten uns von einem Hubschrauber direkt am Strand abholen lassen können, aber wir wollten uns unauffällig verhalten. In all den Jahren, in denen Pierce dieses Rennen unter einem Pseudonym bestritten hatte, hatte nie jemand herausgefunden, wer er wirklich war. Mary Louise beschwerte sich nicht über die lange Fahrt, obwohl der Bus nicht klimatisiert war. Sie zog ihr eBook heraus und genoss die Fahrt in aller Ruhe.
Wir hatten alles in unserer Macht Stehende getan, um unsere Tochter auf dem Boden zu halten. Obwohl sie in unbeschreiblichem Reichtum aufgewachsen war, hatte sie sich irgendwie verdammt gut entwickelt. Sie liebte es zu lernen und freundete sich mit jedem an, den sie kennenlernte. Mary-Louise beschwerte sich selten, es sei denn, es gab etwas, das sie wirklich verärgerte. Vor allem aber hatte sie die Woche der Küstenherausforderung mit einem akzeptablen Maß an Nörgelei überstanden. Sie hatte sich sicherlich weniger beschwert als ich, nachdem ich eine Woche lang jede Nacht in einem heißen, feuchten Zelt geschlafen hatte.
Irgendwie hatten wir sie zu einer erstaunlichen jungen Frau erzogen. Das verdankte ich den Charakteren ihrer drei Väter.
Als wir in San José ankamen, verabschiedeten wir uns von allen anderen Teilnehmern und fuhren dann mit einem Uber zum Flughafen, wo unser Hubschrauber wartete. Das war keine Überraschung – wer dort auf uns wartete, hingegen schon.
Mary Louise sprang aus dem Auto und sprintete auf den Hubschrauber zu. »Tristan! Andrew!« Sie warf sich ihnen in die Arme. »Ich dachte, ich würde euch erst auf der Bellerophon sehen.«
»Wir wollten dich hier treffen, Kleines«, antwortete Andrew. »Zeig uns die Medaille!«
Stolz hielt Mary Louise die Medaille in die Höhe, die um ihren Hals hing. »Ich hab Mom geschlagen!«
Tristan tat so, als wäre er schockiert. »Hast du nicht.«
»Oh doch! Ich hab sie am letzten Tag um drei Stunden geschlagen.«
Tristan drehte sich zu mir um. »Liebling, ist das wahr?«
»Leider ja.« Ich umarmte und küsste sie beide. »Ich möchte euch daran erinnern, dass ich nicht an diesem Rennen teilnehmen wollte. Ich habe mich nur aufgrund von Gruppenzwang dafür angemeldet. Es ist also keine Überraschung, dass sie mich geschlagen hat.«
»Du bist fit!«, protestierte Mary-Louise. »Du läufst die ganze Zeit! Und du hast an der Brown Fußball gespielt!«
»Das ist fast dreißig Jahre her. Diese Knie halten nicht mehr so viel aus wie früher.«
»Ihr habt das toll gemacht«, sagte Pierce, als er zu uns stieß. »Die Coastal Challenge zu schaffen, ist eine große Leistung. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer hat aufgegeben.«
»Lasst uns auf dem Heimweg darüber reden«, beharrte Mary-Louise. »Ich kann es kaum erwarten, wieder eine Klimaanlage zu haben. Und mein eigenes Bett.«
»Und vielleicht einen schönen Pinot Grigio zum Abendessen«, sagte Tristan zu ihr. »Ich hab drei Flaschen deines Lieblings bei Far Niente besorgt.«
Sie räusperte sich. »Bleib cool, Tristan. Verdammt.«
Ich zuckte zusammen. »Du wusstest, dass sie Alkohol getrunken hat?«
»Sie ist vor zwei Jahren aufs College gegangen«, sagte Andrew sanft zu mir. »Das ist doch sicher keine Überraschung, Mel.«
»Die Tatsache, dass Tristan ihr Wein schenkt, ist eine Überraschung, ja!«
»Was hast du von mir erwartet? Dass ich zulasse, dass ihr zarter Gaumen von Fassbier und Tetrapackwein geformt wird?« Tristan erschauerte.
Wir setzten den halbherzigen Streit im Hubschrauber fort, während wir nach Osten flogen. Bald tauchte der vertraute Anblick von Pierce‘ ehemaliger Privatinsel an der Küste auf, wo die Bellerophon im Dock lag. In der Villa herrschte reges Treiben; fünf Studenten entspannten sich am Pool, während ein weiteres Dutzend sich auf eine Wanderung am Rande des Dschungels vorbereitete. Sie alle trugen Rucksäcke und hielten verschiedene Ausrüstungsgegenstände in der Hand.
»Home sweet home«, sagte ich mit einem glücklichen Seufzer.
»Stimmt es wirklich, dass du früher in diesem Haus gewohnt hast?« fragte Mary Louise, während wir uns im Kreis drehten.
»Ja, es stimmt«, antwortete Pierce.
»Aber es ist so groß. Ich hab gelesen, dass dort zwei Dutzend Studenten untergebracht sind. Ich kann nicht glauben, dass du so viel Platz nur für dich hattest.«
»Damals habe ich ziemlich verschwenderisch gelebt«, gab Pierce zu.
»Ich kann mir nicht vorstellen, noch verschwenderischer zu leben, als wir es ohnehin schon tun«, murmelte sie. »Ich bin das einzige Mädchen in meiner Klasse, das im Sommer auf einer Jacht lebt.«
»Wir haben großes Glück«, sagte ich ihr und lächelte meine drei Ehemänner an. »Willst du das Forschungslabor ansehen? Der Professor, der es leitet, macht gerne Führungen.«
»Ja!«, jubelte Mary-Louise mit echter Begeisterung. Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Aber vielleicht nach dem Abendessen. Im Moment möchte ich mich nur hinsetzen und mich eine Weile nicht bewegen.«
»Dann machen wir das morgen«, versprach Pierce ihr. »Ich zeige dir den Raum, in dem früher meine Kunstsammlung war. Jetzt ist es das Datenlabor.«
»Kunstsammlung? Du hast früher Kunst gesammelt?«
»Damals war ich ziemlich cool«, antwortete Pierce. »Bevor ich ein cooler Nur-Vater wurde.«
»Du bist ein Nur-Vater«, sagte Mary-Louise. »Ich würde dich nicht als cool bezeichnen. Obwohl die Coastal Challenge viel cooler ist als das, was die Väter meiner Freunde machen. Die meisten von ihnen sitzen nur herum, trinken Bier und schauen Fußball.«
»Das klingt im Moment ziemlich verlockend«, sagte Pierce. »Viel besser als Pinot Grigio.«
»Niemand hat dir jemals unterstellt, guten Geschmack zu haben«, murmelte Tristan.
Wir fünf lachten, als der Hubschrauber zur Landung ansetzte.

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